Raus mit der Wahrheit. Jetzt.

fagetti kommunikation   •   März, 2019

Wir wollen endlich die Wahrheit wissen. Also raus damit. Die Wahrheit kennen und erkennen und dann das Richtige tun. Das richtige Gesundheitswesen verwirklichen, das richtige Rahmenabkommen unterschreiben, die richtige Digitalisierung umsetzen, das richtige Bildungssystem etablieren. Und wir St.Galler würden gerne wissen, warum der FC Eigentore schiesst, die Raiffeisen-Story solche Ausmasse annehmen konnte oder warum die HSG-Spesenaffäre wieder eine «die da oben»-Debatte auslösen könnte.

Dazu müssen wir wissen, was Sache ist. Fakten-Check statt Fake-News. Was stimmt und was stimmt nicht. Dafür sollen alle «sagen, was ist». Dieser berühmte Satz des Verlegers Rudolf Augstein spricht wohl vielen aus dem Herzen. Wenn wir endlich die Wahrheit kennen würden, wären wir von der Last befreit, ständig aufgrund von teilweiser Informiertheit Meinungen bilden und Entscheide fällen zu müssen. So die Hoffnung. Eine Hoffnung, die nie erfüllt wird.

Empören wir uns deshalb so über Fake-News und Storytelling? Weshalb ärgern wir uns über etwas, das uns seit Jahrtausenden begleitet? Narrative, Ansichten, bewusste und unbewusste Desinformation bis hin zu Schmutz- und Verleumdungskampagnen. Viele vertreten einfach ihre Wahrheit, die nicht viel mehr als ihre Ansicht ist, die durch ihre Projektionen und ihre Denkfähigkeiten geformt oder oft auch verformt ist. Das belastet. Zumindest jene, die verstehen, wie begrenzt das Denken sein kann. Und was geschehen kann, wenn zum falschen Zeitpunkt die Meinungsbildung einseitig, mangelhaft und undifferenziert erfolgt. Sie möchten von Projektionen Abstand nehmen können und Augen öffnen, auch die eigenen. Und sie möchten das Feld der Meinungsbildung auch nicht dümmlicher Verpsychologisierung oder gar krudem Aberglauben überlassen. … die doch oft nur Machtinstrumente zu sein scheinen, um unliebsame Player aus dem Feld zu schlagen.

Nie können alle alles wissen, und wissen wir nur die Hälfte, wissen wir nie, ob wir die richtige Hälfte wissen oder doch nur die halbe Wahrheit. Diese nie endende Herausforderung mit der Annäherung an das Richtige nutzen jene, die tatsächlich einen lockeren Umgang mit Wahrheit haben und mit Diffamierungen, Halbwahrheiten und Lügen andere und anderes schädigen. Und dabei in Kauf nehmen, dass Menschen massiv geschadet wird oder zu lösende Probleme und wichtige Sachfragen über die Klinge springen müssen.

Müssen wir, um uns fürs Richtige zu entscheiden, tatsächlich «alles» wissen? Oder gehört es nicht zur Verantwortung, immer wieder auf Basis von teilweiser Informiertheit möglichst richtig zu entscheiden? Auf Basis von Fakten-Checks, der harten Wissenswährung. Ohne «alternative Fakten» und im Wissen und Bestreben, dass der Wert dieser harten Währung auf Hartnäckigkeit fusst und manchmal wie Goldschürfen ist.

Die Diskussion um Fake-News ist geprägt von der Hoffnung, mit genügend Informationen (Masse statt Tiefe) würde sich die Wahrheit quasi automatisch ergeben und wir könnten befreit von der Aufgabe des anstrengenden Selberdenkens und Erkennens fehlerlose Entscheide fällen. Diese Hoffnung wird natürlich enttäuscht und dennoch ist der Umkehrschluss, dass es keine Wahrheit oder nichts Richtiges gibt, falsch und nicht zulässig. Aufgabe und Verantwortung ist ein ständiges sich Annähern ans Richtige.