«Echt jetzt, Jungs?» oder wer zu früh kommt, den bestraft das Leben

fagetti kommunikation   •   Januar, 2019

Was wird in der Kommunikation über Ideen, Konzepte und Inhalte, über Kanäle und Methoden diskutiert, über das Was, Wie und Warum. Ist auch richtig, schliesslich sind es die besten Ideen und Inhalte, die in ihrem Kern alles enthalten, was wirksame Stories ausmachen – wie die Kerne eines Apfels, die im Boden zu einem neuen Baum werden können, nachdem sie ihr Apfel freigegeben hat.

Selten wird aber über das Wann gesprochen. Warum eigentlich? Eine gute Idee zur falschen Zeit ist eine verschenkte Idee. Zu früh ist schlecht; zu spät auch. Beides birgt die Gefahr, dass die erhoffte Wirkung ausbleibt. Sie wird nicht oder zu wenig wahrgenommen, falsch interpretiert, möglicherweise (willentlich) verdreht. (Wobei Destruktive prinzipiell verdrehen, aus negativen Impulsen heraus, aus Dummheit und Überforderung).

Wir erinnern uns an eine Kampagne einer Grossbank kurz nach dem Finanzcrash 2008. Der Staat und die Steuerzahler hatten den «too big to fail»-Banken gerade finanziell unter die Arme gegriffen, als die Grossbank eine Kampagne platzierte, die quasi die Sexyness des Reihenhausbewohners mit Labrador, Kindern, Rasenmäher und Grillzange ins helle Licht der Werbewelt rückte. Mag sein, dass die Kampagne noch vor dem Crash ausgebrütet worden war. Dennoch, sie hätte sofort gestoppt werden müssen. Was die auf Familienfreundlichkeit, Vorstadtschweiz und Bodenhaftung getrimmte Kampagne versuchte, sprang dem geneigten Betrachter sofort ins Auge.

Man fragte sich: «Echt jetzt, Jungs?» Ein Finanz-Crash, wie ihn die Welt so noch nicht gesehen hatte, wochenlange Hiobsbotschaften, ein Land unter Schock und Banken am Rockzipfel von Mutter Helvetia, die «ich bin jetzt total lieb» jammerten. Und eine Bank, die bislang nicht gerade den Kleinkunden im Visier hatte, präsentiert sich plötzlich als leicht bünzlihafter «best bro» mit einer naturgegebenen Bindung zur Durchschnittsschweiz. Es wirkte irgendwie lächerlich. Sogar peinlich. Man fremdschämte sich ein bisschen.

Nicht weil die Bank all das nicht hätte sein können. Da gab es zweifellos die ganze Zeit über Banker, die diese Kundengruppe hervorragend repräsentierten. Und vermutlich auch sinnvolle Argumente für eine solche Marketingstrategie. Die Kampagne war in sich auch sorgfältig umgesetzt, Bildwelt, Claims, Gestaltung, alles schien professionell vorbereitet zu sein. Nein. Die Kampagne kam zum falschen Zeitpunkt – und entsprach nicht der nach aussen prägenden Bank-DNA. Das wirkte unglaubwürdig und hatte das Potential, statt Vertrauen aufzubauen (oder zu retten) nochmal welches zu zerstören. Ihre Botschaft wirkte wie Überkompensation oder, negativ, wie Verhöhnung.

Oder wenn Roger Köppel den Donnerstag, 3. Januar, zur Lancierung seiner Ständeratskandidatur nutzte, ist das wohl kein Zufall. Die von den Feiertagen «aaghaflete» Woche litt gerade noch genug an der festtäglichen Nachrichtenflaute, damit die Ankündigung frei von störenden Nebengeräuschen ihre mediale Wirkung entfalten konnte (zwecks Steigerung der Spannung erfolgte die Einladung zur Medienkonferenz kurzfristig und ohne nähere inhaltliche Hinweise). Im Wahljahr 2019 werden wir wohl noch weitere solcher Beispiele erleben.

Es spielt also eine Rolle, wann ein Apfel zu Boden fällt und seine Kerne freigibt. Der Boden muss vorbereitet sein, der Apfel muss reif sein. Die grösste Leistung liegt oft auch darin, einen Apfel so lange wie nötig am Baum zu behalten. Erfahrene Gärtner wissen das.