Teil 2 – Tagebuch* aus dem Office zu Hause – Neue Selbstbestimmtheit.

fagetti kommunikation   •   Februar, 2021

Der Kater ist grad der einzige, der hier Geräusche von sich gibt. Lang ausgestreckt liegt er auf dem warmen Fussboden hinter dem Schreibtisch und schnurrt. Kein Tastaturklackern, keine Autogeräusche, keine Türen, die zuschlagen, keine Gesprächsfetzen. Es ist so still, dass man die eigenen Gedanken hört und schnell in die Arbeit reinfindet. Power on. Grundsätzlich macht man die Arbeit zu Hause im Office konzentrierter, effizienter und – so die Hoffnung – auch effektiver (das beurteilen aber nicht nur wir, sondern vor allem auch unsere Kunden und Partner).

Die Tage beginnen ruhiger und weniger gestresst. Das beginnt schon beim Aufstehen. Man weiss, dass für den Weg zur Arbeit immer genug Zeit bleibt oder man oft sogar früher den Power-Knopf am Computer drückt als vorher. Die Aussicht aus dem Bürofenster auf die schneebedeckten Hügel hier am Stadtrand von St.Gallen unterstützen dieses Gefühl des rechtzeitig am richtigen Ort zu sein noch.

Es gibt keine übliche Bürobetriebsamkeit, die eine Geräuschkulisse für den Arbeitsalltag bietet und von der man sich treiben lassen kann. Wer in seiner Arbeitsgestaltung von solchen Faktoren abhängig ist, tut sich wohl schwerer mit dieser Arbeitssituation. Es fehlt Ablenkung, von der zwar viele sagen, dass sie störe und sie Ruhe und Fokus wünschten, aber in Tat und Wahrheit ohne diese Ablenkung nicht auskommen.

(Dass viele Menschen angeben, gerne auch ohne Pandemie mehr von zu Hause aus arbeiten zu dürfen und der mehrheitlich guten Erfahrungen der Unternehmen damit, zeigt aber, dass sich hier viel tut.)

Neue Selbstbestimmtheit
Es ist eine neue Selbst-Bestimmtheit, die sich eröffnet. Die man, wie wir schon letztes Jahr im Homeoffice erlebt haben, mit einer neuen Bewusstheit füllen und teilweise auch neu strukturieren muss. Wir lassen das stille Schaffen ganz bewusst durch small talk unterbrechen. Das Reden über das Wochenende im Zoom-Wochenmeeting am Montagmorgen wird zum big talk. Weil man keinen spontanen Schwatz in der Küche bei der Kaffeemaschine halten kann, lassen wir uns dafür  im Meeting Zeit. Kurze Bestätigung- oder Danke-Emails schreiben wir häufiger. Weil wir nicht in den gleichen Räumlichkeiten sitzen und mal kurz rüberlaufen können für eine kleine Auskunft oder ein Dankeschön. Und wir achten darauf, dass wir uns immer sehen, wenn wir miteinander sprechen. Also immer FaceTime oder Zoom. Natürlich ersetzt das die Live-Begegnung nicht, die Wahrnehmung von Mimik, Tonfall und Körpersprache bleiben eingeschränkt, dennoch wirkt es verbindend, wenn man sich sieht.

Wenn grössere Arbeiten besprochen werden müssen, wenn Neues ansteht oder besondere Herausforderungen, die über tägliche Arbeiten hinaus gehen, treffen wir uns nach wie vor physisch, in jedem unserer Homeoffices haben wir genug Platz dafür. Und für Kundenmeetings oder Retreats mieten wir auch Räumlichkeiten in Downtown an.

Neue Struktur
Wichtig scheint, dass der neue Alltag teilweise anders strukturiert wird. Der Arbeitstag muss mit kleinen Ritualen gestartet und mit einem bewussten Schlusspunkt beendet werden.

Arbeitgebern sollte es egal sein, wenn ein pflichtbewusster Mitarbeiter sich auch mal an der frischen Luft die Füsse vertritt und für eine halbe Stunde nicht am Computer sitzt. Oder wenn die Mitarbeiterin zwischendurch kurz einkaufen geht. In einer Dreiviertelstunde ist sie zurück, erfrischt durch die Bewegung, die neuen Bilder, die Menschen, die sie antraf. Bewegung und Sport gehören noch bewusster in den Alltag integriert. Die berühmt gewordenen Homeoffice-Jogginghosen sollten wirklich nur zum Sport oder nach Feierabend getragen werden. Für Sport oder kleine Erledigungen verwendete Arbeitszeit wird – so unsere Erfahrung – leicht durch einen Sondereinsatz am Abend oder mal am Wochenende kompensiert.

Natürlich gibt es immer jene Mitarbeitenden, die nicht wissen, wie sie mit dieser neuen Selbstverantwortung umgehen müssen. Dort braucht es Zeit und wohl auch Regeln und Vorgaben. Und aufmerksame Führungskräfte, die genau hinschauen.

Jahrhunderte lang haben die Menschen zu Hause gearbeitet. Leben und Arbeiten gehörte zusammen wie Atmen und Luft, eine Trennung von work und life existierte nicht, alles war life… Der Gang in die Fabrik später galt als «abartig» und «fremdbestimmt». Vielleicht ändert sich das gerade wieder. Nur dass wir nicht mehr auf dem Feld arbeiten oder im Haushalt, sondern Wissensarbeiter geworden sind, die anspruchsvolle Kopfarbeit dank der neuen Technologien überall auf der Welt erledigen können, auf den Malediven wie in der Blockhütte in Kanada. Oder eben im Homeoffice.

Es ist Abend geworden und der Kater holt mich am Schreibtisch ab: er platziert sich direkt vor dem Bildschirm und schaut mich etwas grumpy an. Zielstrebig führt er mich zu seinem Fressnapf und streicht mir um die Beine. Er weiss, was er will. Ich auch.

* Unsere Agentur macht #newwork. Sie hat auf Anfang 2021 ihren Standort dezentralisiert. Das Team arbeitet aus den Homeoffices heraus, wo sich die Mitarbeitenden bei Bedarf auch physisch treffen können. In unserem Tagebuch beschreiben wir unsere Erfahrungen mit dieser neuen Art des Arbeitens.