Immer muss alles geliebt werden

fagetti kommunikation   •   Juni, 2019

Lassen wir uns mehr von emotionalen Eindrücken und Erlebnissen leiten oder mehr von intellektuellen, also zum Beispiel von Fakten und Tatsachen? Ist es Unaussprechliches, Gefühltes und Ungefähres, das uns ein Produkt, eine Dienstleistung, ein Unternehmen oder eine Organisation und ihre Anliegen näherbringen oder sind es klare Kriterien, die uns zu Käufern oder «addicted follower» machen? Spontan sagt uns der gesunde Menschenverstand, dass es beides ist.

Mit dem Aufkommen der Konsumgüter entstanden auch die Agenturen, die zuerst in Schaufenstern und mit Inseraten, dann vornehmlich mit TV-Spots Werbung für Produkte und Firmen machten. Dafür standen meist klare Faktoren im Vordergrund. Ein Auto, das weniger Reparaturen hatte, galt als das bessere Produkt. Heute geschieht die Bewerbung oft (zu oft?) in Form eines Angriffs auf das limbische System (Funktion im Gehirn, die der Verarbeitung von Emotionen und der Entstehung von Triebverhalten dient). Vermarktet werden Erlebnisse, Gefühltes und Ungefähres und weniger der konkrete Kundennutzen. Angesprochen werden Triebe und Emotionen. Immer muss alles geliebt werden.

Diese Veränderung hin zu emotionalisierter Kommunikation hat einen Grund. Selbstverständlich sind wir Menschen fakten- und gefühlsorientiert, also braucht es beides. Aber es hat sich auch die Qualität vieler Produkte und die Ziele von Unternehmen angeglichen oder sind sich zumindest deutlich nähergekommen. Ob ich ein iPhone nutze, ein Samsung oder Huawei ist praktisch einerlei. Und Missionen, Visionen und Werte von Unternehmen scheinen oft austauschbar.

Diesem Einerlei hoffen wir in der Kommunikation mit den neuen Möglichkeiten der Digitalisierung zu entkommen. Die Datensammelwut von facebook und Co. führt dazu, dass wir Customer Journeys besser denn je nachzeichnen können. Uns stehen plötzlich Daten zur Verfügung, mit deren Hilfe wir voraussagen können, dass sich Herr Müller mit grosser Wahrscheinlichkeit in den nächsten 14 Tagen für den Kauf eines Rasenmähers entscheiden wird und Frau Meier offen ist für diese oder jene politischen Botschaften. Folglich kann Werbeinhalt passgenau zusammengestellt werden, für den einen mehr faktenbasiert, für den anderen gefühlsbetonter.

Und dann kann heute grundsätzlich jeder Publizist sein, jeder kann auf Instagram branden und Stories erzählen und seine Texte und Themen über Blogs, youtube, facebook, twitter, instagram, soundcloud, linkedin und andere Kanäle verbreiten. Das verändert vieles.

Die Vermessung des Menschen als Basis für die genau richtige Werbung. Dem Auftraggeber verspricht das im Idealfall genauere und erfolgreichere Kommunikationsaktivitäten mit weniger Aufwand. Und dem Konsumenten passgenauere Werbung ohne lästiges Beigemüse. Also die Lösung für den berühmten Satz von Henry Ford: «Ich weiß, die Hälfte meiner Werbung ist hinausgeworfenes Geld. Ich weiß nur nicht, welche Hälfte.» ?  Vielleicht.

Die Diskussion, ob gute Kommunikation nun mehr erlebnisgetrieben oder stärker faktenbasiert ist, ist dann jedenfalls hinfällig. Die Daten helfen uns, den Kreis zu schliessen. Sie treffen auf den gesunden Menschenverstand und verstehen, dass es beides braucht. Dann werden wir in der Kommunikation vielleicht auch befreit werden von der Erwartung, dass ständig immer alles geliebt werden muss. Mehr noch, es wird verstanden, dass nicht immer alles geliebt werden soll und darf. Gerade auch für wahre Liebe.